01 Januar 2013

FNJ!



Die Kernfrage dieses Blogs, warum wir das als vernünftig Erkannte nicht tun, wird im Spiegel 52/2012 ganz beiläufig mitbeantwortet, indem der Hauptartikel ausgesprochen schlüssig darlegt, die individuelle explizite Bereitschaft, jeden möglichst umfänglichen Schwachsinn der Gruppe möglichst öffentlich zu bejahen, mitzutragen und weiter zu befeuern, sei primäre Intention aller Religion und zwar wegen seiner Wirkung als soziales Kohäsionsmittel Nr 1.

Konkret: Indem ich mich dem religionsgestifteten Zwang, schwachsinnigen Ritualen und Axiomen zu folgen, öffentlichkeitswirksam beuge, beweise ich, zu welchen Opfern, zu welcher Verleugnung meiner selbst und der Vernunft ich um der sozialen Gruppe willen fähig bin.

Ein brillianter Artikel. Und ich halte diese Funktion von Religionen (und allgemeiner: anderer hirnerweichenden Sozialnormen) auch für eine gute Sache. Religionen haben der Menschenheit gewiss geholfen. In ihrer Zeit.

Zahnspangen sind auch eine gute Sache. In ihrer Zeit.

Wenn Zahnspangen aber über ihre Zeit hinaus hirnlos immer weiter benutzt werden, werden sie gemeingefährlich. Und falls Zahnärzte empfählen, da Zahnspangen so hilfreich seien, müssten alle Menschen bis in  alle Ewigkeit Zahnspangen tragen, würden wir fragen, ob sie, die Zahnärzte, noch ganz dicht seien oder etwa egoistische Partialinteressen auf Kosten der gesamten Menschheit befriedigten.

Was hat das mit Barfußlaufen zu tun? Nichts. Fast nichts. Dies ist kein Barfuß-Blog. Dieser Blog untersucht vielmehr das häufig anzutreffende, mir bislang unerklärliche Missverhältnis von Sozialnorm und Vernunft. Und ich bin sicher, dass besagter Spiegel-Artikel in dieser Sache ausgesprochen erhellend ist.

Aber wir können das Ganze trotzdem mal am Beispiel (!!!) Barfußlaufen prüfen bzw. konkretisieren: Indem man/ich wider alle medizinische Vernunft, besseres Wissen,  eigenes Wohlbefinden und Wollen Schuhe trüge, zeigte man/ich, dass man/ich der demütigen Befolgung gesellschaftlicher Konvention den höchsten (Superlativ!) Stellenwert einräumte.

Umgekehrt: Indem man barfuß läuft, demonstriert man, dass man Vernunft höher hält als Konvention. Und das erzeugt bei den Konventionalisten offenbar Unwohlsein, macht sozial verdächtig und unzuverlässig. Mit solchen Leuten wie mir ist kein Krieg zu gewinnen, mit denen kann man keine Pferde stehlen. Statt bedingungsloser Loyalität auch und gerade bei hirnverbrannten, moralisch schwiemeligen Aktionen könnten derartige Leute anfangen, sich bedingungslos ihres Verstandes zu bedienen. Und wer weiß, wo die noch überall anfangen, Dinge anders zu machen, wenn sie schon beim Schuhetrag-Ritual nicht mitmachen? Vernunft, das macht alles so ... kompliziert. Vernunft ist noch lange kein Grund, aus der Reihe zu tanzen. Der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, hat ja irgendwie auch eine arschlöchig-arrogante Attitüde.

Hm. Doch. Die Konkretisierung der im Spiegel referierten Thesen am Beispiel barfuß zeigt deren ausgesprochene Tragfähigkeit. Schön, schön ...

Frohes Neues Jahr 2013. Es bleibt spannend.



 (via spiegel-online)
Beim Schreiben dieser Zeilen stelle ich gerade fest: Mich interessiert es nicht wirklich, ob andere Leute barfuß laufen oder nicht. Mich interessiert, wo die vielen unbegreiflichen Widerstände gegen das Vernünftige, gegen Toleranz  tiefwurzeln. Da ist dieses Titelthema ein echter Meilenstein. Danke, Spiegel.






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