26 Juni 2012

Barfuß-Fakten: Hygiene


Unter anderem aus Wikipedia kleingeschrieben:

Jeder Mensch besteht aus etwa 10 Billionen (10^13) Körperzellen. Auf und in ihm siedelt die zehnfache (!) Menge an Bakterien und Pilzen, die auch "Mikroorganismen" oder, irreführend, "Keime" genannt werden und unschädlich oder nützlich oder sogar überlebensnotwendig für uns sind.

Die Kosmetik- und Reinigungsmittel-Industrie suggeriert Keimfreiheit als Hygiene-Ideal, ein Ziel, dessen Erreichung wir nicht überleben würden.

Wer schon mal unter einer "Darminfektion" gelitten hat, weiß, worum es wirklich geht. "Darminfektion" bedeutet nicht, dass erstmals Mikroorganismen unseren Darmtrakt infizieren [*1], sondern, dass sich dort Bakterien/Pilze massenhaft vermehren, die da nicht massenhaft hingehören und die jenen, die dort massenhaft hingehören, den Garaus machen, was zur Folge hat, dass das gesunde Gleichgewicht zwischen den Spezies zusammen- und das große Chaos ausbricht, so dass schließlich hinten etwas herauskommt, was als "Scheiße" zu bezeichnen eine sehr tolerante definitorische Dehnung des Begriffes voraussetzte.

Kurz: Es geht nicht um den sterilen (=keimfreien) Menschen. Es geht um eingespielte Gleichgewichte.

Wenden wir uns der Haut zu. Etwa 148 verschiedene Bakterienspezies (Pilze also noch nicht mitgezählt) bilden hier ein munteres, eingespieltes  Ökosystem. Dieses Ökosystem ist ausgesprochen nützlich für uns, denn, wenngleich die beteiligten Populationen völlig unschädlich für uns sind und sich karg und bescheiden von Altfett und toten Hautschuppen nähren, so werden sie doch zu rasenden Killerbestien, falls fremde Keime sich anheischig machen, das Revier zu usurpieren.

Der Mikrobiologe formuliert dann gern auch mal jovial : "Die Standortflora fungiert als Türsteher, an dem neue, eventuell krankheitserregende Keime erstmal vorbei müssen." [*2]

Auf einem Quadratzentimeter Haut leben ein paar Hundert bis zu zwei Millionen unschädlicher Mikroorganismen in einem Gleichgewicht konkurrierender Zwietracht, und das ist gut so, denn wenn die weg wären oder das Gleichgewicht erheblich gestört würde, könnten schädliche, d.h. krankheitserregende Keime sich konkurrenzlos ausbreiten. Darunter können dann auch welche sein, die sich nicht bescheiden an der Oberfläche halten, sondern richtig fiese, die sich gierig auf unsere lebenden Körperzellen stürzen und sich in unseren Körper hinein ausbreiten.

An dieser Stelle kommen Schuhe ins Spiel. Unsere Kommensalen, also unsere lieben, gewohnten, unschädlichen Kumpel-Mikroorganismen, sind an bestimmte Temperaturvarianzen, pH-Wert-Bereiche und Feuchtigkeitsbedingungen angepasst, nämlich an die Bedingungen, die sie im Laufe der gemeinsamen Evolution mit ihrem Wirt, uns, vorfanden.

Was sie da nicht vorfanden, sind Bedingungen, wie sie gewöhnlich in geschlossenem Schuhwerk herrschen: Eine dauerhafte Temperatur von durchschnittlich 50 °C, ein dauerhafter pH-Wert von 5,4 bis 5,9 und eine relative Feuchte von dauerhaft fast 100 %.

Oh, die halten das aus, keine Frage. Aber einige von den Mikros halten das besser aus als andere, und das reicht, um das oben lang und breit erklärte ökologische Gleichgewicht zu verschieben.

So lieber Leser, liebe LeserIn, danke für's Durchhalten. Ich glaube, den Rest kannst Du Dir jetzt selbst erklären. Vor allem weißt Du jetzt, warum in schuhtragenden Gesellschaften 20 bis 85 % der Bevölkerung mit dem sogenannten "Fußpilz" kämpfen [*3] [*4], der in Wirklichkeit ein ganz normaler Hautpilz ist, der überall auf unserer Haut herumwuselt, sich normalerweise aber nicht durchsetzen kann und der deshalb in nicht-schuhetragenden Gesellschaften genau so selten auftritt, wie "Handpilz" bei uns.

Vielleicht kannst Du Dir nun auch erklären, warum man nicht Mikrobiologie studieren kann, ohne anschließend das exzessive Schuhetragen total eklig zu finden.

Und ganz vielleicht kannst Du nun auch verstehen, warum ein Biologie-Lehrer, der beansprucht seinen Schülern ein Vorbild zu sein, barfuß laufen sollte, wann immer möglich, .



Staphylococcus spec.
(via wiki commons)




[*1] Die Erstbesiedlung unseres Darms erfolgte kurz nach unserer Geburt, und das ist gut so, denn bekanntermaßen brauchen wir die Darmflora, um die Nährstoffe richtig aufzuschließen und unserem Körper verfügbar zu machen.

[*2] Eine ganz wichtige Erfahrung aus meinem eigenen Biologie-Studium: Vertraut niemals dem sachlichen Ton, in dem Ökologen oder die Evolutionsforscher über die "Wechselwirkungen" zwischen den Populationen reden. Ganz tief drinnen sind auch sie parteiisch und betrachten mit fasziniertem Gruseln die schön-schrecklichen Gemetzel und Konkurrenzkämpfe, egal, ob da Einzeller, Ameisen, Efeu, Haie, Schachtelhalm oder Viren zuschlagen.

[*3] ein erhebliches, volkswirtschaftliches teures Problem

[*4] Übrigens resultiert meine Barfuß-Macke NICHT aus persönlichen Fußpilz-Problemen, wie mir vor Jahren mal unterstellt worden ist.

2 Kommentare:

tbk hat gesagt…

50°C wirklich? Ich würde eher sagen 36°C (periphere körpertemperatur). Anderes ist rein thermodynamisch gar nicht möglich, außer die außentemperatur liegt deutlich darüber. Trotzdem stimmt, dass bei solchen bedingungen ganz andere keime florieren.

SG800 hat gesagt…

Die Temperaturangabe stammt nicht von mir, sondern aus Howells "barefoot-book", die Seitenzahl reiche ich nach, sobald ich es aus der Ausleihe zurück habe. Howell meint, die Reibungstemperatur des Fußes im Schuh täte ein Übriges.